„Von alter Fehde erzählt die Mär, von Kampf und Zwist und Hader, von dunklen Wolken am Himmel über Löwenfels. Der schwelende Hass der Adelshäuser treibt die edelsten der Jünglinge in die Fesseln der Gier und Rachsucht…“

Sein Name war Marko, Marko von Löwenfels. Er war mit 22 Jahren der älteste der drei Brüder von Löwenfels, Erbe der Ländereien ihres Vaters, heimlich begehrt von allen Jungfrauen der Gegend – und lag seit sieben Tagen in Ketten gefangen.
Er versuchte nicht mehr, gegen die fast armdicken Eisenketten anzukämpfen, die seine Hände und Füße an die kahle Kerkerwand fesselten; sein Aufbäumen und Zerren in den ersten Tagen hatten ihn alle Kraft gekostet. Sein nachtschwarzes Haar fiel ihm in Strähnen ins Gesicht, seine edle Kleidung hing zerknittert und halb in Fetzen an seinem Körper, seine nackten Füße scharrten über den kalten Steinboden.
Marko war alles andere als schwach – er schlug jeden im Schwertkampf – aber gegen fünf gerüstete Männer hatte er kaum eine Chance gehabt. Wer ihm schließlich den Schlag auf den Kopf verpasst hatte, wo er sich nun befand und warum er gefangen war, das wusste er nicht. Dieser Hinterhalt auf seinem Erkundungsritt in den äußeren Grenzgebieten war das letzte, woran er sich erinnerte, bevor alles dunkel geworden und er in Ketten gelegt wieder erwacht war.
Seitdem waren die Stunden und Tage schier endlos gewesen. Zweimal an jedem Tag war ihm von einem Diener ein dünner Brei als Fraß vorgesetzt worden, sonst hätte er die Tage in dieser Finsternis wohl nicht mehr zählen können.
Wenn seine Entführer ein Lösegeld wollten, so hatten sie einen schlechten Zeitpunkt gewählt. Sein Vater war im Krieg und das Versteck des Schlüssels zum Burgschatz hatte er nur ihm, seinem ältesten Sohn verraten. Dass seine jüngeren Brüder genug Geld aufbringen könnten, um ihn auszulösen, darauf konnte er nicht hoffen. Die Ketten klirrten höhnisch, als er mutlos die Arme sinken ließ…


„Was soll das heißen ‚Er hat noch keine Anwort geschickt‘?! Wir haben seinen Sohn Marko gefangen genommen und ihm sein Schwert als Beweis geschickt – was braucht es denn noch, um diesen sturen Narren zu überzeugen, endlich zu zahlen?!“ tobte der Baron von Rotenstein.
„Sire, Eure Boten haben die Nachricht überbracht, nun können wir nichts tun als abzuwarten, dass Herzog Burko antwortet“, wandte sein Leibdiener ein.
„Wir können nichts tun? Ich gebe ihm noch einen Tag als Frist, um seinen Sohn auszulösen. Danach werden wir zu überzeugenderen Mitteln greifen müssen.“ Ein kaltes Lächeln umspielte die Lippen des Barons…


„Marko!“ Kälte. Marko erwachte aus seinem Dämmerschlaf und rieb sich die schmerzenden Gelenke. Die Zelle sah nicht anders aus als in den endlosen Stunden zuvor. Was hatte ihn geweckt?
„Marko!“ Ein Diener, der ihm sein Essen brachte, stand wieder in der Tür, doch nie zuvor war er angesprochen worden. Auch war der Diener dieses Mal kleiner als die anderen und schien von der Statur her merkwürdig vertraut…
„Marko, ich bin es, Richard!“ rief der Diener wieder. Strohblondes Haar und ein aufgeregtes Jungengesicht zeigten ihm seinen jüngsten Bruder, einen Knaben von erst 15 Jahren.
„Richard? Richard!! Was tust du hier?“ fragte Marko.
„Dago und ich haben uns in die Burg geschlichen, um dich zu befreien. Der Baron von Rotenstein wollte ein Lösegeld für dich erpressen, aber da Vater fort ist und nur du Zugang zum Burgschatz hast…“
„Du musst keine Erklärungen abgeben, befreie mich!“ bat Marko.
Richard ging auf ihn zu und griff nach den Ketten…
„DAS WÜRDE ICH LASSEN!!!“ donnerte vom Eingang her die Stimme des Barons. „Wachen, nehmt den jungen Dieb in Gewahrsam!“ Zwei bewaffnete Wachen stürmten an ihm vorbei und packten Richard, rissen ihm die Arme auf den Rücken und fesselten seine Hände.
„Dachte ich es mir doch, dass etwas faul ist, als der alte Burko auf die Entführung seines ältesten Sohnes mit keiner Silbe reagierte“, sprach der Baron weiter, während die Wachen Richard mit einem Seil um Oberkörper und Arme weiter fesselten. „Da der Vater nicht erreichbar ist, war wohl zu erwarten, dass die beiden Jünglinge auf eigene Faust etwas unternehmen würden. Aber dass es etwas so Närrisches sein würde… Wärest du lieber auf der heimischen Burg geblieben, Bursche, dann könntest du noch immer mit anderen Knaben frei durch die Lande ziehen.“
„Während mein Bruder in Eurem Kerker umkommt? Ihr seid der Narr, wenn Ihr glaubt, dass Ihr damit ungestra-hmmpf!“ schleuderte Richard ihm entgegen, bis ein Tuchknebel jedes weitere Wort aus seinem Mund erstickte.
Der Baron durchschritt die Zelle, bis er dem Jungen von Angesicht zu Angesicht gegenüber stand. „Und wer sollte mich denn zur Rechenschaft ziehen, hm?“
„Unser Bruder Dago wird es Euch heimzahlen!“ schrie Marko.
„Ach, Dago also, der dritte von Euch jungen Löwen? Etwa dieser Dago…“, sprach er und wies mit der Hand auf den Zelleneingang. Zwei weitere Wächter schleiften einen bewusstlosen Jüngling von 19 Jahren herein, der mit Lederriemen an Händen und Füßen gefesselt war und einen weiteren Riemen als Knebel im Mund hatte.
„Elender Hund!“ schrie Marko dem Baron hilflos entgegen, während er mit den Tränen kämpfte, seine jungen Brüder nun in der selben aussichtslosen Lage zu sehen, wie sich selbst.
Gemächlich wandte sich der Baron dem Angeketteten zu, nahm sein Kinn fest in eine Hand und flüsterte: „Bald werdet Ihr nicht mehr so große Reden schwingen, Bursche, das verspreche ich“, während ein düsterer Funke in seinen Augen aufglomm…


„Hmpf… Hm-hmmmmmpf…“ war alles, was in dem schwach von Fackeln erhellten Raum zu hören war. Das Licht reichte gerade aus, um drei hilflos gefesselte und geknebelte Jünglinge erkennen zu lassen. Marko, Dago und Richard von Löwenfels, die nun vielleicht niemals wieder das väterliche Schloss zu sehen bekommen würden.
Auf Geheiß des Barons von Rotenstein waren die drei jungen Männer in die große Folterkammer des Burgverlieses geschafft und dort gefesselt worden. Gefoltert hatte man sie noch nicht, da der Baron noch immer auf eine Lösegeldzahlung durch Herzog Burko von Löwenfels wartete, doch sonderlich angenehm war ihre Lage dennoch keineswegs…
       Richard, kaum mehr als ein Junge, der immer schon größer hatte sein wollen, war – grausame Ironie des Barons – auf die Streckbank gelegt worden. Seine Füße steckten in einem Pranger, die Arme wurden weit über seinen Kopf nach oben gezogen. Ein Tuch verschloss den Mund des Jungen.
       Dago, den lebhaften Rabauken, der im Schloss seines Vaters trotz seiner zahlreichen Streiche meist ungeschoren davongekommen war, hatte man auf einen ledernen Strafbock gebunden. Hände, Arme, Rücken, Beine und Füße waren einzeln am Bock fixiert. Die braunen Locken fielen über sein Gesicht, verbargen aber nicht den Lederriemen, der ihn noch immer knebelte.
       Und Marko, der als Ältester einst Thron und Herrschaft des Hauses Löwenfels erben würde, saß auch im Verlies des Barons auf einem “Thron”. Allerdings war er auf diesem Thron stramm festgeschnallt. Wie einem Pferd hatte man ihm eine Trense angelegt, die ihn am Sprechen hinderte.
Wie sehr die drei jungen Männer sich auch gegen ihre Fesseln wehrten und sich aufbäumten, konnten sie doch gegen die straffen Riemen und unnachgiebigen Stricke, gegen starres Holz und kaltes Eisen nichts ausrichten. Sie waren ihren Fesseln und Knebeln unterlegen – sie waren vollkommen hilflos.
„Bequem, die Herren?“ Der Baron von Rotenstein betrat die Kammer. „Das also sind die Brüder von Löwenfels, “Die Löwen” genannt, die Blüte des Reiches. Hah! Nun seid Ihr nicht mehr so groß, Burschen.“ Langsam durchschritt er den Raum, blieb bei jedem der wehrlos gefesselten Jünglinge stehen, um ihn näher zu betrachten, und ging weiter. „Söhne eines Herzogs – dass ich nicht lache! ICH hätte zum Herzog erhoben werden sollen, nicht dieser Stümper, der Euer Vater ist. Aber er wird bezahlen, mit Gold oder mit Eurem Blut!!!“ geiferte der Baron.
Im Eilschritt stürmte ein Diener herein. „Sire, ein Bote steht vor den Toren! Burko von Löwenfels schickt das Gold, das Ihr verlangtet!“
„So? Hat er es also doch endlich aufgegeben, sich meinen Forderungen zu widersetzen? Das will ich mit eigenen Augen erleben. Bringt diese jungen Welpen mit hinauf zur Burgwehr!“


Wenig später stand der Baron von Rotenstein an den Zinnen seiner Burg, in der Rechten die Enden von drei Ketten, die jeweils an einem schweren eisernen Ring um den Hals eines jeden der Löwenfels-Brüder endeten. Man hatte ihnen die Hände mit Stricken auf den Rücken gebunden und ihnen Fußeisen angelegt, so dass sie nur noch kleine Schritte gehen konnten.
„Rotenstein, höret! Burko von Löwenfels geht auf Eure Forderungen ein“, erklang es von jenseits der Mauern. Ein einzelner Reiter mit drei Packpferden stand auf der Flur und rief hinauf. „Sehet hier das verlangte Gold, um des Herzogs Söhne auszulösen!“ und damit öffnete er eine der Truhen auf den Rücken der Packpferde. Das Funkeln in der Nachmittagssonne verriet den goldenen Inhalt.
Mit einem leisen Klirren der Ketten beugte sich Richard zu seinen Brüdern und flüsterte: „Was soll der Unsinn, wer ist dieser “Bote”? Vater ist im Krieg und seine Männer mit ihm. Keine Nachricht kann ihn so schnell erreicht haben. Und der Einzige, der noch Zugang zur Schatzkammer hat, bist du, Marko.“ „Schhht!“ entgegnete Dago, „Das weiß aber der Baron nicht. Erkennst du ihn nicht? Das ist Vaters alter Hofmarschall, Volker! Woher er aber das Gold hat, das weiß auch ich nicht.“ Marko flüsterte: „Das ist doch im Moment ohne Belang. Wichtig ist nur, dass wir freikommen!“
„Gut denn“, rief der Baron zurück, „so sei unser Tausch besiegelt.“
Den jungen Löwen wurden die Fußeisen abgenommen, ihre Hände blieben jedoch gefesselt, während der Baron sie vor das Tor führte.
Sobald Diener die drei schweren Truhen in Empfang genommen hatten, wurden den Jünglingen die Fesseln zerschnitten und sie bestiegen die Pferde.
Mit einem süffisanten, öligen Grinsen sprach der Baron: „Richtet dem Herzog aus, es war mir ein Vergnügen, mit ihm Geschäfte zu machen. Wenn ich dereinst wieder einmal Gold benötige, so werde ich einfach seine Jungen wieder in meine “fesselnde” Gesellschaft laden. Habt Dank für Eure Dienste.“
„Den Dank, Mylord, begehr’ ich nicht“, entgegnete der alte Hofmarschall.


Wenige Minuten später waren die vier Pferde von Volker und den jungen Löwen schon fast außer Sichtweite der Burg des Barons von Rotenstein.
Marko sprach: „Dank, Volker, für unsere Rettung. Doch woher nahmst du die Menge Gold, uns auszulösen?“
„Das ist doch kaum der Rede wert.“ antwortete Volker. „Doch schlage ich vor, wir reiten nun im schnellsten Galopp weiter. Der Baron könnte etwas ungehalten werden, sobald er entdeckt, dass das wenige Gold, das ich besaß, nur gerade eben die Menge an Steinen bedeckt, welche die Kisten ausfüllen. Übrigens, die Herren, Ihr schuldet mir nun einen ganzen Jahreslohn!“

 

  • E N D E –

 

Nachwort

Ritter Burko und seine Söhne Marko, Dago und Richard sind historisch belegte Personen. Sie haben die Orte Burgwerben, Markwerben, Tagewerben und Reichardtswerben in der Gegend um die Herzogstadt Weißenfels (also in meiner Ecke :-)) gegründet.
Allerdings war Burko nicht „Herzog von Löwenfels“ (auch nicht von Weißenfels) und auch die anderen Charaktere sowie natürlich die gesamte Handlung sind frei erfunden.

 

© Le Ligoteur   secretive@gmx.de

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